Politische Schönheit

 

Aus welchen Gründen wählt man bei einer Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahl diese oder jene Partei? Gibt es neben den üblichen Kriterien, die bei Lichte besehen alle technokratischer Natur sind, sich nämlich um die bessere oder schlechtere Verwaltung von Energieerzeugung, Wirtschaft, Technologie, Arbeitsplätzen, Einwanderung, digitaler Vernetzung, Mobilität – und neuerdings auch wieder der Kriegseinsätze unserer Armee – drehen, gibt es also neben diesen allbekannten Kriterien auch solche, die Visionen von einem ganz anderen Niveau des Daseins, nämlich von einem Leben in Fülle, in Freude, Leidenschaft und – Schönheit ins Auge fassen?


Schönheit und Politik? Verträgt sich das?


Es ist schon ein paar Jahre her, da hörte ich erstmals vom „Zentrum für politische Schönheit“. Als ich diesen Namen las, war ich begeistert; ich dachte: Endlich werden ästhetische Maßstäbe an politisches Handeln angelegt! Endlich macht jemand darauf aufmerksam, dass Form, Inhalt und Ziel von Politik zusammenpassen müssen! Endlich gibt es die Hoffnung, dass soziale Fragen unter künstlerischen Gesichtspunkten beantwortet und gelöst werden! Endlich hat jemand verstanden, dass das soziale Gefüge ein Kunstwerk ist! 


Weit gefehlt.

 

Wenig später musste ich lesen, dass ebenjene Gruppe, die sich „Zentrum für politische Schönheit“ nennt, es „schön“ fand, das Privathaus des thüringischen AfD-Vorsitzenden Höcke zu belagern. Höcke hatte das Berliner Holocaust-Denkmal bekanntlich in einer Rede als „Denkmal der Schande“ kritisiert. Unmittelbar neben seinem Haus baute die Gruppe nun eine Art Nachbau des Denkmals auf und belästigte die Familie des Politikers von Stund an permanent mit dieser von Medien- und Justizgetöse begleiteten Aktion. Ist es aber „politisch schön“, einem noch so umstrittenen Politiker privat aufzulauern? In seine Privatsphäre einzudringen? Seine Frau und Kinder täglicher Drangsalierung und Belagerung durch Journalisten, Polizei und Neugierige auszusetzen, d.h. seine Familie für seine politischen Ansichten in Sippenhaft zu nehmen? Nein, das ist hässlich und ekelhaft. Ich habe mich geschämt – „fremdgeschämt“, so nennt man das wohl. Denn hier haben sich offensichtlich falsch gewickelte Beuys-Epigonen eines Begriffes bemächtigt, mit dem ich mich – eigentlich! – identifizieren könnte. Sie aber missbrauchen ihn, um ihre aggressiv-präpotenten Aktionen damit zu schmücken.


In George Orwells Roman „1984“ lesen wir: „Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke“. Orwell hätte noch hinzufügen können: „Schönheit ist Hässlichkeit“.

 

Wahre Schönheit ist nicht parteiisch. Die Sonne scheint, die Blumen blühen, Mozarts und Schuberts Melodien singen, die Mona Lisa lächelt: und zwar für jeden, sogar für Verbrecher. Schönheit ist friedlich, freundlich, warm und versöhnend. Erst in den letzten hundert Jahren hat man sich in der Kunst von der Schönheit abgewandt und bisweilen das Gegenteil zur Kunst erklärt. Es ist ja wahr: Große Kunst suchte immer auch auch die Dissonanz, das Problematische auf. Denn es existiert ja eine Polarität zwischen einem Ideal und der Wirklichkeit, also dem Perfekten, Göttlichen und dem Menschlichen, Fehlerbehafteten. Über das Thema der Dissonanz in der Kunst kann man lange philosophieren. Irgendwann aber, so scheint es mir, wollte der eine Pol – nämlich die Fratze, die Verzerrung, ja der Gestank – diese Polarität nicht mehr akzeptieren, sondern erhob selbst den Anspruch auf „Schönheit“. Und so kann man heute tatsächlich eher einen Haufen Exkremente als „Kunstwerk“ in ein Museum hineinsetzen als ein gut gemaltes gegenständliches Bild. Und als Ergebnis solcher Verdrehung lässt es sich tatsächlich als „Schönheit“ verkaufen –  selbstredend unter dem Applaus einschlägiger Medien und Honoratioren –, die Familie eines unliebsamen Politikers zu bedrängen.


Aber wie hätten wir uns denn wahre politische Schönheit vorzustellen?


Schönheit bejaht. Sie gibt Kraft. Manche Apologeten moderner Aktionskunst mögen über solche Worte die Köpfe schütteln. Aber bedenken wir: In Goethes „Faust“ bezeichnet sich Mephisto als „Geist, der stets verneint“. Die Verneinung ist also eine teuflische Eigenschaft, denn Mephisto ist der Teufel selbst. Folglich sind alle politischen Maßnahmen, die verneinen, hässlich. Sie sind destruktiv, zerstörend, bieten nichts an – man kann auch sagen, sie bieten das Nichts an –, verlangen aber Unterwerfung. Jedes Verbot, jede Bußgeldandrohung, jede Verfolgung Andersdenkender, jede Zensur ist verneinend – und damit politisch hässlich!


Natürlich denken wir da sofort an die Corona-Zeit. Denn was auch immer man (gut oder schlecht informiert) aus medizinischer Sicht von Abstandsgeboten, Maskenzwang und Impfung halten mag: mit dem Maßstab der Schönheit gemessen sind sie allesamt eine Katastrophe. Der Staat setzt seine düsterste Maske auf, schwarz und drohend. Man schaue sich nur die modernen schwarzen Uniformen an, die aus jedem Polizeibeamten einen Darth Vader aus dem Film „Krieg der Sterne“ machen, und vergleiche sie mit den gemütlichen, grünen und hellbraunen Anzügen der Schutzmänner unserer Kindheit.


Politisch schön wäre es gewesen, der vermeintlichen gesundheitlichen Herausforderung auf schöpferische und liebevolle Weise zu begegnen. Nicht die Frage „Was müssen wir den Menschen verbieten?“ hätte gestellt werden sollen, sondern die Frage „Was können wir den Menschen anbieten, um sie zu stärken?“ Das wäre ein bejahender Ansatz! Wie man das hätte machen können, darüber haben sich schon viele geäußert, angefangen bei zahllosen Ärzten, die erklärten, wie wunderbar wir in dem sonnigen Frühjahr und Sommer des ersten Corona-Jahres 2020 unser Immunsystem hätten stärken können. Man wollte sie nicht hören. Aber Sonnentanken, fröhliches Beisammensein im Freien, Sport, kulturelle Erlebnisse und dergleichen hätten die körperliche und vor allem seelische Widerstandskraft unseres Volkes so stärken können, dass am Ende jenes Jahres 2020 niemand mehr ein Wort über „Corona“ hätte zu verlieren brauchen.


Lachen ist schön, jeder blickt gern in ein lachendes Gesicht. Wenn, wie es sprichwörtlich heißt, Lachen auch gesund macht: Was macht dann krank? Was macht dann hässlich? Sind wir eine lachende Gesellschaft? Was sagen uns die Mundwinkel von Frau Merkel oder Herrn Steinmeier?


Ich höre oft, das sei ja alles gut und schön, und seine Widerstandskraft könne jeder gern privat stärken. Gesamtgesellschaftlich sei das aber nicht möglich, ja geradezu lächerlich, man habe halt durchgreifen müssen, um das Virus zu bekämpfen.

 

Nein, dem widerspreche ich energisch.


Ausgerechnet eine dann strenge Verfechterin der staatlichen Zwangsmaßnahmen hatte mir noch ein halbes Jahr vor „Corona“ ein Buch über Traditionelle Chinesische Medizin geschenkt, das sie damals offenbar als wegweisend ansah und in dem man folgende Zeilen lesen kann: „Wer in China morgens um 6 Uhr in den Parks unterwegs ist, kann sich von der Vielfalt des Qigong überzeugen. Manche üben in Gruppen, manche allein. Teilweise sind die Teilnehmer in gleichfarbige Anzüge gekleidet, andere üben in normaler Straßen- oder Berufskleidung auf dem Weg zur Arbeit. Manche fallen durch Besonderheiten auf, etwa durch Übungen, die im Rückwärtsgehen ausgeführt werden, oder auch durch das Hantieren mit dem Schwert. Auffallend ist: Es sind überwiegend ältere Menschen, die diese Tradition pflegen, die jüngere Generation ist kaum vertreten. Denn in den Metropolen Chinas hat inzwischen die westliche Lebensweise Einzug gehalten, auch wenn die alten Praktiken nicht ausgestorben sind.“ (Dr. med. Fritz Friedel: Das Gesetz der Balance, Goldmann-Verlag 2016).


Hier ist also die Rede von jahrtausendealten Qigong-Gesundheitsübungen, die Leib und Seele in Balance halten. Was wir da erfahren, ist wertvoll: Ein Volk kann durch einfache, sinnvolle, gemeinsame und schöne Aktivitäten ein Gesundheitsbewusstsein entwickeln und aktiv leben. Die riesige Chance, die uns „Corona“ geboten hat, um auch hierzulande etwas Derartiges in Gang zu bringen, wurde allerdings schändlich vertan, und die Schönheit wurde systematisch vertrieben. Die Verneinung setzt sich auf ganzer Linie durch und macht die Menschen krank an Leib und Seele.


Ein großes Kunstwerk erkennt man daran, dass Form und Inhalt sich entsprechen, das kann ein guter Musiker an jeder Symphonie oder Sonate von Mozart, Beethoven oder Brahms zeigen. Dies gilt auch für die Politik. Früher sprach man von der „Staatskunst“, da wusste man noch von solchen Zusammenhängen. Wenn das Wissen darum ganz verlorengeht, müssen wir uns wohl auf eine Welt vorbereiten, in der die Hässlichkeit, sich selbst anmaßend und zynisch zur Schönheit erklärend, unangefochten mit autoritärer, herrischer Gebärde umherzieht. Und im Wort „hässlich“ steckt – „Hass“.


Schrieb ich: „Unangefochten“ werde die Hässlichkeit regieren? – Ein früherer Freund von mir sagte oft: „Das weiche Wasser höhlt den Stein“. Ich versuche deshalb weiterhin mit Schönheit dagegen zu fechten. Ich beobachte oft, wie sich Pflanzen durch eine harte Betondecke hindurch zum Sonnenlicht hervor arbeiten. Immer wieder müssen die Priester der Hässlichkeit neuen Beton anrühren und die Risse zugießen, aber gegen die Lebenskraft der scheinbar so kleinen Pflanzen kommen sie doch nicht an: Im nächsten Jahr durchbrechen sie den Beton wieder.


Das ist für mich ein schönes, tröstliches Bild. Aber – gibt es eine politische Partei, die etwas davon verkörpert? – O je! Wir müssen es wohl ohne sie schaffen.

 

 

Jürgen Plich
Am Gscheierbichl 13a

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